Offener Theismus1


 

In den vergangenen Jahrhunderten wurden etliche Nachfolger Jesu in „Ketzerprozessen“ bzw. Prozessen wegen „Häresie“ zum Verbrennen auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Die Vorgänge laufen heute viel ziviler und unblutiger ab, sie finden immer noch statt. Du weißt vielleicht, dass das traditionelle „Christentum“ einer wohlverdienten Kritik an einigen seiner wertvollsten Lehren unterzogen wird. Eine dieser Lehren betrifft die Offenheit Gottes (bezüglich der Zukunft).

 

Können Menschen nämlich mit Gott so interagieren, in Beziehung treten und ihn beeinflussen, dass er seine Pläne ändert oder etwas (nicht) tut, das er ansonsten tun würde? Dies trifft genau den Kern der Frage, ob unsere Gebete zu Gott irgendeine Wirkung auf ihn haben.

 

Die traditionellen Vorstellungen von Gottes Natur, die in den meisten protestantischen und katholischen Lehren zum Dogma (= verbindliche Lehre) erhoben wurden, besagen, dass Gott unbeweglich sei und nicht dem Einfluss der (sterblichen) Menschen unterliege. Gepaart mit der Vorstellung, dass Gott auch allwissend und zeitlos sei sowie alle Dinge bestimmt habe, besagt diese Ansicht, dass es für ihn keinen Grund gäbe, (innerlich) bewegt zu werden oder sich auf Wunsch des Menschen bewegen zu lassen. Denn was sein wird, wird sein. Gott habe die Zukunft festgelegt und nichts geschehe, was nicht seinem vollkommenen Willen entspreche. Wir mögen seinen Willen nicht verstehen, aber diese Sichtweise versichert uns, dass es einen größeren Zweck gebe, der im Werden sei.

 

Ein Kind wird von einem Lastwagen überfahren und stirbt, und wir sollen uns damit trösten, dass es irgendwie in Gottes guten Plan passe. Alles geschehe aus einem bestimmten Grund: einige (Menschen) werden verloren gehen, einige werden gerettet. Es ist gleichgültig, dass nach dieser Auffassung sich alles Böse in der Welt auch in das einpassen muss, was Gott bestimmt habe. Das „Schicksal“, so wie es von Gott bestimmt werde, der alles kontrolliere und wisse, sei unwiderruflich festgelegt. Damit können wir nicht wissen, warum Gott die Menschen erschuf und dann die große Mehrheit von ihnen niemals „gerettet“ wird, sondern am Ende für immer „in der Hölle brennt“ (nach ihrer Ansicht). Nun ja, glaube einfach an einen guten Zweck irgendwo da draußen im allwissenden Geist Gottes.

 

Prädestination“ ist das Wort dafür, und es ist das Kernstück des Calvinismus und wird von vielen „Christen“ als die die Art und Weise angesehen, wie Gott die Dinge geregelt habe. Es ist eine erbärmliche, unbiblische Vorstellung, die ein verzerrtes, ja blasphemisches Bild von unserem heiligen und guten Gott zeichnet.


Die offene Zukunft

 

Dieser kurze Artikel reicht bei Weitem nicht aus, um zu beschreiben, was Offener Theismus oder der Ansatz der Offenheit Gottes ist, aber er ist zumindest eine Zusammenfassung. Im Grunde ist es das Gegenteil des theologischen Determinismus bzw. der Prädestination (Calvinismus). Er vertritt ein mehr biblisches Verständnis von Gottes Natur und seiner Bereitschaft, mit denen zu arbeiten, die nach seinem Bild geschaffen sind.

 

In der Bibel heißt es, Gott habe „Buße getan“2 oder seine Pläne aufgrund menschlicher Bitten geändert. Dies ist ein Problem für diejenigen, die dem „klassischen“ Theismus an-hängen. Wie William Hasker ausführt: „Der Begriff der göttlichen Reue ist ausschlag-gebend für die Unterschiede zwischen dem klassischen Theismus und dem offenen Theismus. Wenn Gott bereut, dann hat er sich verändert. Wenn dem so ist, dann ist Gott nicht absolut unveränderlich und schon gar nicht zeitlos. Die göttliche Reue ist eng mit dem Aus-druck des göttlichen Bedauerns über eine zuvor getroffene Entscheidung verbunden, oder zumindest über die Konsequenzen, die sich aus einer solchen Entscheidung ergeben haben.

 

Aber ein Gott, der solchen Kummer und Reue erleben und Bedauern empfinden kann, ist von seinen Geschöpfen emotional betroffen; er ist keineswegs unempfindlich. [Göttliche Unempfindlichkeit: das vermeintliche Attribut der Vollkommenheit Gottes, das verlangt, dass er völlig in sich geschlossen ist, in keiner Weise von seinen Geschöpfen beeinflusst wird, und insbesondere unfähig zu Leiden, Bedrängnis oder negativen Emotionen jeglicher Art ist].

 

Außerdem ist die göttliche Reue typischer-weise eine Reaktion auf Handlungen und Entscheidungen von Menschen, die nicht im Einklang mit Gottes Absichten standen. Wenn dies wirklich stimmt, dann ist Gott nicht allwissend, sondern hat vielmehr einen Teil der Kontrolle in menschliche Hände gelegteine Kontrolle, die in diesem Fall entgegen dem Willen Gottes ausgeübt worden ist.

 

Und schließlich deutet eine solche göttliche Reue stark darauf hin, dass eine frühere göttliche Entscheidung unvorhergesehene Folgen gehabt hat. Und wenn dies stimmt, verneint es die Ansicht, dass Gott eine sichere und umfassende Schau über die gesamte Zukunft hat. Es ist völlig verständlich, dass die Vertreter des klassischen Theismus die biblischen Hinweise auf die göttliche Reue als problematisch empfunden haben und all ihre interpretatorischen Mittel aufbieten, um sie in einer akzeptablen Weise zu lösen.“3

 

Einige biblische Beispiele für das, was ich mit Offenem Theismus meine, werden helfen, diese Offenheit Gottes zu veranschaulichen; wie er zuhört, erhört und im Namen der menschlichen Bitten handelt. Die meisten von Gottes Prophezeiungen sind an Bedingungen geknüpft - abhängig davon, wie seine Geschöpfe darauf reagieren.

 

Jona wurde beauftragt, Ninive zu verkünden, dass es für seine Sünden zerstört würde. Doch als das Volk das kommende Gericht hörte, kehrte es von seinen gottlosen Wegen um. Gott änderte seine Meinung (zu Jonas Leidwesen) und vernichtete die Einwohner Ninives nicht (Jona 3:10). War dies eine aufrichtige Reaktion eines liebenden und barmherzigen Gottes oder nur ein trügerischer Trick, da er nie wirklich vorhatte sie zu vernichten, was die gängige Erklärung des traditionellen deterministischen Theismus ist.

 

Jeremia erhielt von Gott die Nachricht, dass die Babylonier Jerusalem zerstören würden, was dann auch geschah (Jer. 32:4; 52:12-14). Aber hätte es so kommen müssen? Jeremia sagte auch voraus, dass die Stadt verschont bleiben würde, wenn Zedekia sich ergeben würde, anstatt auszuharren (Jer. 38:17-18). Zedekia kapitulierte nicht; die Stadt wurde eingenommen und verbrannt. Wenn letzteres eine bedingte Prophezeiung war, was offensichtlich ist, dann war es auch ersteres. Der Ausgang hätte ein anderer sein können, je nach der menschlichen Reaktion auf Gottes Absichten.

 

Ist Gott oft enttäuscht von seinen Kindern? Gott sagte Jeremia: „Ich dachte, nachdem [Israel] all dies getan hatte, würde es zu mir zurückkehren, aber es tat es nicht ... Ich dachte, du würdest mich »Vater« nennen und nicht davon ablassen mir nachzufolgen. Aber wie eine Frau, die ihrem Mann untreu ist, so seid ihr mir untreu geworden, Haus Israel“ (Jer. 3:7.19.20).

 

Oft ist Gott bitter enttäuscht. Er hat alles getan, um Israel zu einem fruchtbaren Weinberg, zu seinem Volk zu machen. „Er suchte nach Recht, sah aber Blutvergießen; nach Gerechtigkeit, aber er hörte das Geschrei der Verzweiflung“ (Jes. 5:7). Er hatte große Hoffnungen in König Saul gesetzt, aber Saul nutzte seinen freien Willen, um Gottes Führung abzulehnen. Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

 

Gott will immer das Gute für seine Schöpfung, aber er hat seine empfindungsfähigen Geschöpfe mit Freiheit, dem freien Willen, ausgestattet. Wenn dieser Wille dazu benutzt wird, seine Güte abzulehnen, ist er betroffen, wie in den Tagen vor der Sintflut: „Der Ewige war betrübt, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und sein Herz war voll Schmerz“ (Gen. 6:6).

 

Gott weiß, was er tun will, und der endgültige Sieg [die Wiederherstellung aller Dinge] wird Ihm gehören, wie die letzten Kapitel der Offenbarung schildern. Aber ich denke, wir würden überrascht sein wie offen Gott ist, mit uns zu arbeiten, und wie die Zukunft teilweise festgelegt und teilweise offen ist. Das gilt für unser Leben und das Leben in der Welt insgesamt.

 

Deshalb sind unser Leben und unsere Gebete wichtig, denn sie werden von Gott erhört und beantwortet. Wenn alles im Leben vorher-bestimmt und festgelegt wäre, wozu dann beten? Wir beten und Gott erhört.

 

Weitere Bibelstellen zum Offenen Theismus

 

Gen. 6,6: „Es tat dem Ewigen leid, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte.“

 

Gen 22,12: „Denn nun weiß ich, dass du [Abraham] Gott fürchtest, denn du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen [einzigartigen] Sohn, nicht vorenthalten.“

 

Exod. 4,9: „Wenn sie auch diesen beiden Zeichen nicht glauben oder auf dich hören …“

 

Exod. 13:17: „Damit das Volk nicht seine Meinung ändert …“

 

Exod. 16:4: „… damit ich sie prüfen kann. Werden sie auf meine Weisung hören oder nicht?“

 

Exod. 32:14: „Der Ewige änderte seine Meinung über das Böse, von dem er gesagt hatte, er würde es seinem Volk antun.“

 

Num 14:11: „Wie lange wird dieses Volk mich verachten und wie lange werden sie nicht an mich glauben?“

 

Deut. 8,2: Gott „hat euch diese vierzig Jahre durch die Wüste geführt, um euch durch Demütigung zu prüfen, ob ihr seine Gebote halten wollt oder nicht.“

 

Deut. 9,18-20: „Ich [Mose] war entsetzt über den Zorn des Ewigen, der dich zu vernichten drohte. Aber er hörte auch diesmal auf mich.“

 

Deut. 13,1-3: „Der Ewige, dein Gott, wird dich prüfen, um zu sehen, ob du ihn mit deinem ganzen Verstand [Denken] und Sein liebst.“

 

1 Sam. 2:29-30: „Der Ewige, der Gott Israels, spricht: »Ich habe wirklich gesagt, dass dein Haus und das Haus deiner Vorfahren mir für immer dienen würde.« Aber jetzt spricht der Ewige: »Möge es niemals sein!«“

 

1 Sam. 15:10-11.35: „Ich bereue, dass ich Saul zum König gemacht habe, denn er hat sich von mir abgewandt und nicht getan, was ich ihm aufgetragen habe.“

 

1. Kön. 22,20: „Der Ewige sprach: »Wer will Ahab betrügen?«“

 

2. Kön. 20,1-6: „Du wirst bald sterben; du wirst nicht gesunden … Siehe, ich werde dich heilen … Ich werde deinem Leben 15 Jahre hinzufügen.

 

1. Chron. 21,15: „Gott sandte einen Engel, um Jerusalem zu verwüsten. Als er das tat, sah der Ewige zu und ließ von seinem Urteil ab. Er sagte dem Engel, der zerstörte: »Es ist genug! Hör jetzt auf!«“

 

2. Chron. 32,31: „Gott ließ ihn allein, um ihn zu prüfen, um seine wahren Beweggründe zu erkennen.“

 

Ri. 2,21-22: „Ich werde keine der Nationen mehr vor ihnen wegnehmen, die Josua bei seinem Tod unbesiegt gelassen hat, um Israel zu prüfen. Ich will sehen, ob das Volk sorgfältig auf dem Weg wandelt oder nicht …“

 

Jes. 5,3-7: „Er wartete auf Gerechtigkeit, aber siehe, was er bekam - Ungehorsam! Er wartete auf Fairness, aber siehe, was er bekam - Schreie nach Hilfe!“

 

Jer. 7,31: „Das ist etwas, was ich ihnen nie befohlen hatte zu tun! Es ist mir nicht einmal in den Sinn gekommen.“

 

Jer. 18,7-11: „Wenn das Volk, dem ich gedroht habe, aufhört, Unrecht zu tun, werde ich die Zerstörung, die ich ihr antun wollte, rückgängig machen. Wenn dieses Volk tut, was mir missfällt, und mir nicht gehorcht, dann werde ich das Gute, das ich ihm versprochen habe, rückgängig machen.“

 

Jer. 19,5: „So etwas ist mir noch nie in den Sinn gekommen.“

 

Jer. 26,3: „Vielleicht werden sie aufmerken und jeder von ihnen wird aufhören, so böse zu leben, wie er es tut. Wenn sie das tun dann verzichte ich darauf, sie zu vernichten, wie ich es vorhatte zu tun.“

 

Jer. 26,19: „Der Ewige hat es sich anders überlegt …“

 

Jer. 32,35: „Es ist mir nie in den Sinn gekommen.“

 

Jer. 42,10: „Ich will von dem Unheil ablassen, das ich euch angetan habe.“

 

Hesek. 12,1-3: „Vielleicht werden sie es verstehen …“

 

Hesek. 20,21-22: „Ich wollte meinen Zorn über sie ausschütten, aber ich habe es nicht getan.“

 

Hesek. 22,29-31: „Ich suchte einen Mann aus ihrer Mitte, der die Mauer ausbessern würde ... aber ich fand niemanden.“

 

Hesek. 33,13-15: „Und wenn ich dem Gerechten sage, dass er sicher leben wird, aber er vertraut auf seine Gerechtigkeit und begeht einen Frevel … wegen der Ungerechtigkeit, die er begangen hat, wird er sterben.“

 

Joel 2,13-14: „Wer weiß? Vielleicht wird er sich barmherzig erweisen und bereuen.“

 

Amos 7,3.6: „Der Ewige hat seine Meinung darüber geändert.“

Jona 4,2: „Ich weiß, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und reich an Barmherzigkeit, und einer, den das angedrohte Gericht gereut.“

 


 

1 Original: „Doctrine on Trial“ in Christian Development Newsletter (November 2011)

2 Das bedeutet offensichtlich nicht das Bereuen von Sünde, sondern die Veränderung der Gedanken bzw. des Planes.

3 “Implications of Divine Repentance for the Attributes of God,” opentheism.info [Schlussfolgerungen aus der Gött-lichen Reue bezüglich der Eigenschaften Gottes]