Spiritualität – G’tt nahen

(ordonline.de – Paraschat Korach)


 

Vorsicht vor neuen Ritualen

 

Der Mensch soll G’tt aus freien Stücken dienen – aber nach Seinen Regeln. Wie können wir G’tt am besten dienen, wie können wir eine Verbindung zu Ihm schaffen? Viele würden heute wohl antworten, man sollte auf die Empfindungen seines Herzens achten, seiner Spontanität und Kreativität freien Lauf lassen und auf der Suche nach Spiritualität auf seine Gefühle hören.

 

Man fühlt etwas, das größer ist als man selbst, und versucht, sich damit zu verbinden. Das ist sinnstiftend. Solche Gefühle kommen völlig spontan, man hat keinen Einfluss darauf, wann und ob sie einen überkommen. Was aber sagt das Judentum zu solcher Spontanität und Individualität?

 

Rebellion

 

Wir lesen in unserem Wochenabschnitt von Korach, der eine Rebellion gegen Mosche und Aharon initiiert hat. Zusammen mit 250 der bedeutendsten Vertreter des Stammes Levi klagt Korach Mosche und Aharon an: Sie würden für sich zu viel Ehre und zu viele Positionen beanspruchen, Mosche als Leiter des jüdischen Volkes und Aharon als Hohepriester. »Raw lachem« – »das ist zu viel für euch«, rügen sie, »denn das ganze jüdische Volk ist heilig« (4. Mose 16:3).

 

Mit dieser Anklage wollte Korach nicht dem ganzen Volk eine 1+ in Spiritualität geben. Vielmehr beabsichtigte er, die gesamte Struktur des jüdischen Volkes – Mosches Leiterschaft war davon nur ein Teil – zu vernichten. »All die Einschränkungen und Befehle, all die Regeln, die uns angeblich G’tt näherbringen – wer braucht das alles?«, fragt Korach. »Wir alle standen am Berg Sinai, wir alle sind heilig! Wir haben Seine Stimme selbst gehört, man muss uns nicht vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Wir alle wollen einen eigenen Weg zu G’tt finden und möchten nicht, dass uns irgendein despotischer Anführer einen aufzwingt.«

 

Das Argument hatte seinen Reiz – aber es war falsch. Mosche durchschaute Korachs wahre Ziele und Motive. Es war, wie Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1818–1888) in seinem Tora-Kommentar treffend ausdrückt, reiner und ehrsüchtiger Neid, der unter dem Vorwand, die Allgemeinheit zu vertreten, die Befriedigung eigener und selbstsüchtiger Interessen verfolgt.

 

Priestertum

 

Nachdem Korach und seine Gefolgschaft von G’tt für den Aufstand bestraft wurden, listet die Tora eine Vielzahl von Regeln für das Stiftszelt und die Priester auf. Fast beiläufig wird hier der priesterliche Leitgedanke formuliert: »Du aber und deine Söhne (…) habt den Dienst zu vollziehen, zum Dienst der Hingebung gebe Ich euch euer Priestertum.«

 

Das Priestertum ist ein Dienst der Hingabe und der Selbstaufopferung. Die gesamte Ausstattung des Stiftszelts, wie etwa der Leuchter oder die verschiedenen Altäre, richten unsere Aufmerksamkeit auf all die wunderbaren Gaben, die G’tt uns Menschen ständig gibt. Wir reagieren auf diese Großzügigkeit mit unserer Awoda, unserem Dienst an G’tt.

 

Obwohl der Vers direkt zu den Priestern spricht, dürfen wir nicht vergessen, dass sie unsere Abgesandten sind und für uns alle den Tempeldienst (Beit HaMikdasch) verrichten. Unsere Aufgabe in dieser Welt ist es, all die vielen Gaben G’ttes zu bewahren – nicht, um sie eigennützig zu gebrauchen, sondern es gilt, sie in den Dienst an Ihm zu stellen. Die Quintessenz der Awoda, des Dienstes an G’tt, ist das Geben.

 

Hingabe

 

Warum sagt dann G’tt aber: »Ich gebe euch den Dienst der Hingabe«? Genau hier sehen wir, warum Korachs Position falsch ist. Ja, unser Geben muss von uns kommen, aus unserem freien Willen heraus. Aber wie wir geben, wann, wo und sogar warum – all das muss nach Seinen Regeln geschehen. In der Tat unterliegt unsere Ergebenheit völlig dem freien Willen, aber G’tt bestimmt alle anderen Einzelheiten unseres Dienstes.

 

Wie man G’tt dient, kann nicht die Folge eines inneren Impulses sein. Wir erfreuen G’tt, indem wir Ihm ergeben sind, nicht, indem wir uns neue Rituale ausdenken. G’tt möchte, dass wir bereit sind, nur auf Ihn zu hören, indem wir all das tun, was Er vorgeschrieben hat. Wo manche neue Wege der Spiritualität sehen, sieht die Tora nur chaotische Selbstbezogenheit oder gar Narzissmus.

 

Am Ende stellt sich allerdings die Frage, warum G’tt uns Impulse schickt, die uns zum Spirituellen führen. Wir haben eingangs die Anklage »Raw lachem« – »es ist zu viel für euch« – erwähnt. Mosche wirft Korach und seinen Leuten als Antwort genau diese Worte zurück: Ihnen sei als Leviten schon eine große Ehre zuteilgeworden, sie sollten nicht nach noch mehr streben. Dies scheint eine sehr angemessene und gerechte Antwort zu sein. Der Talmud (Traktat Sota) sagt jedoch, dass Mosche für diese Erwiderung hart bestraft wurde. Als er am Ende seines Lebens G’tt anflehte, das Heilige Land doch bitte betreten zu dürfen, erwiderte G’tt ihm: »Raw lach« (5. Mose 3:26).

 

Die Verweigerung seines Bittgesuchs war die direkte Folge der Antwort, die er den 250 Aufständischen gegeben hatte. Wie kann das sein? Mosche hat doch ohne Zweifel richtig gehandelt, der Rüge der 250 Vertreter zu entgegnen, dass sie schon genug Ansehen besitzen. Warum wurde er für seine Wortwahl so hart bestraft?

 

Unsere Weisen erklären, dass Mosche einen wichtigen Punkt übersehen hat. Es stimmt, dass die 250 im Irrtum waren. Es stimmt auch, dass die Motivation am Ende ehrsüchtiger Neid war. Bei den meisten hat es aber mit einer aufrichtigen Motivation begonnen, G’tt näher zu sein.

 

Die Wörter »Raw lachem« implizieren, dass das Streben nach Spirituellem eingeschränkt werden muss. Doch dies ist falsch. Als Mosche das Heilige Land betreten wollte, um durch dessen Heiligkeit in seiner Spiritualität zu wachsen, benutzte G’tt dieselben Worte, um ihm seinen Wunsch zu verwehren. Genau wie Mosche den Anführern der Rebellion eine höhere spirituelle Stufe verneint hat, hat G’tt dasselbe mit Mosche getan.

 

Diese Gefühle und Impulse hin zur Spiritualität sind wie alles andere auf der Welt Geschenke G’ttes. Unsere Aufgabe ist es, diese Motivation richtig zu nutzen und sie in Awoda, den Dienst an G’tt, zu übersetzen.