Tu BiShvat - das Neujahr der Bäume

(rabbisacks.org)


 

Wenige Texte haben die westliche Zivilisation mehr beeinflusst als das erste Kapitel von 1. Mose (Genesis, Bereschit), mit seiner bedeutsamen Vision der Entstehung des Universums, das als Werk Gottes ins Leben gerufen wurde. Angesichts der Größe der Erzählung sticht die Kleinheit und doch Einzigartigkeit des Menschen hervor, der verletzlich ist, sich aber auch unbestreitbar von allen anderen Wesen abhebt. Die Worte des Psalmisten spiegeln das Staunen und die Demut wider, die das Urpaar empfunden haben muss, als es die Pracht der Schöpfung betrachtete:

 

Wenn ich Deine Himmel betrachte, das Werk deiner Finger,
den Mond und die Sterne, die Du an ihren Platz gesetzt hast.
Was ist die Menschheit, dass Du ihrer gedenkst?
Die Kinder der Sterblichen, dass du dich ihrer annimmst?
Und doch hast Du sie wenig niedriger gemacht als die
Engel
und hast sie mit Ruhm und Ehre gekrönt.

(Psalm 8,3-5)

 

Die Ehre und der Ruhm, die den Menschen krönen, ist der Besitz der Erde, der ihnen als Höhepunkt von Gottes Schöpfungswerk zuteil wird: Seid fruchtbar und mehret euch, füllet die Erde und machet sie euch untertan. Dieser Gedanke wird in Psalm 115 bekräftigt: Der Himmel ist der Himmel des Ewigen, aber die Erde hat Gott den Menschen gegeben. Während die Schöpfungsgeschichte Gott eindeutig als Herrn des Universums präsentiert, ist es der Mensch, der zum Herrn der Erde ernannt wird.

 

In der Auseinandersetzung mit der herausfordernden Vorstellung der Menschen als gottgewollte Besitzer der Erde, werden wir mit der grundlegenden Frage nach unserem Platz im Universum und unserer Verantwortung darin konfrontiert. Eine wörtliche Auslegung suggeriert eine Welt, in der die Menschen Wälder abholzen, Tiere abschlachten und nach Belieben Abfall in die Meere kippen können, ganz wie wir es heute in unserer Welt sehen.

 

Andererseits, wie Rav Kook, der erste Oberrabbiner Israels schreibt, sollte jeder intelligente Mensch wissen, dass 1. Mose 1,28 „nicht die Herrschaft eines strengen Herrschers bedeutet, der sein Volk und seine Diener quält, nur um seine seine persönlichen Launen und Wünsche zu erfüllen, der Krummheit seines Herzens entsprechend.“ Hätte Gott wirklich eine so komplexe und großartige Welt nur für die Willkür der Menschen geschaffen?

 

1. Mose Kapitel 1 ist nur eine Seite der komplexen biblischen Gleichung. Sie wird ausgeglichen durch Kapitel 2, das eine zweite Schöpfungserzählung ergänzend liefert, die sich auf den Menschen und seinen Platz im Garten Eden fokussiert. Der erste Mensch wird in den Garten gesetzt, um ihn zu bebauen und zu hüten. Die beiden hier verwendeten hebräischen Verben sind bedeutsam. Das erste - le'ovdah - bedeutet wörtlich ihm zu dienen. Der Mensch ist also sowohl Herr als auch Diener der Natur. Das zweite - leshomrah - bedeutet ihn zu bewachen. Dieses Verb, wird in der späteren biblischen Gesetzgebung zur Beschreibung der Pflichten eines Hüters von Eigentum verwendet, das jemand anderem gehört. Dieser Hüter muss beim Schutz Wachsamkeit üben und ist persönlich haftbar für Verluste, die durch fahrlässiges Handeln entstehen.

 

Dies ist vielleicht die beste kurze Definition der Verantwortung des Menschen für die Natur, wie sie die Bibel versteht. Wir sind nicht Eigentümer der Natur - Die Erde ist des Ewigen und alles, was darauf ist. (Psalm 24,1) Wir sind ihre Verwalter im Auftrag Gottes, der alles erschaffen hat und dem alles gehört. Als Hüter der Erde sind wir verpflichtet, auf ihre Unversehrtheit zu achten.

 

Der Kommentator des mittleren 19. Jahrhunderts, Rabbi Samson Raphael Hirsch, hat dies in einer originellen Auslegung von 1. Mose 1,26 dargelegt: Lasst uns den Menschen nach unserem Bild machen. Die Passage ist immer etwas rätselhaft, denn das Markenzeichen der Torah ist die Einzigartigkeit Gottes. Wen sollte Gott bei der Erschaffung des Menschen in den Prozess einbeziehen? Das Wir, sagt Hirsch, bezieht sich auf den Rest der Schöpfung. Vor der Erschaffung des Menschen, eines Wesens, das die Fähigkeit entwickeln sollte, die natürliche Welt zu verändern und möglicherweise zu gefährden, suchte Gott die Zustimmung der Natur selbst einzuholen. Diese Interpretation impliziert, dass wir die Natur nur so nutzen, wie es den Absichten ihres Schöpfers entspricht und so die Natur der Existenz des Menschen zustimmt.

 

Der Auftrag in Mose 1 ist also nicht technischer, sondern moralischer Natur: Die Menschheit soll im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Natur für den Dienst an Gott nutzen. Darüber hinaus wird dieser Auftrag ergänzt durch die Forderung zu dienen und zu bewahren, wie in 1. Mose 2 zu sehen ist. Die berühmte Geschichte von 1. Mose 3 - das Essen der verbotenen Frucht und die anschließende Verbannung von Adam und Eva aus Eden - unterstützt diesen Punkt. Nicht alles ist erlaubt. Es gibt Grenzen dafür, wie wir mit dem Planeten Erde umgehen. Die Torah hat Gebote darüber, wie man sät, wie man erntet, wie man Eier sammelt und wie man Bäume in Kriegszeiten schont, um nur einige zu nennen.

 

Wenn wir die Schöpfung nicht nach dem Willen Gottes behandeln, kann es zu Katastrophen kommen. Wir sehen das heute, wenn immer mehr Städte unter einer Smogwolke liegen oder große Teile unserer Fischereigewässer mit Quecksilber vergiftet sind. Die Abholzung der Regenwälder, die Folge der wachsenden Nachfrage der Menschheit nach Holz und Rindfleisch, hat zu einer unwiderruflichen Zerstörung von Pflanzen- und Tierarten geführt. Wir können nicht länger die massiven negativen Auswirkungen unserer globalen Industriegesellschaft auf die Ökosysteme der Erde ignorieren. Unsere grenzenlose Nutzung fossiler Brennstoffe für unseren energieintensiven Lebensstil verursacht einen globalen Wandel. Wissenschaftler sagen intensivere und zerstörerische Stürme voraus, Überschwemmungen und Dürren.

 

Der Midrasch sagt, dass Gott Adam den Garten Eden zeigte und sagte: „Sieh dir meine Werke an! Sieh, wie schön sie sind – wie ausgezeichnet! Um deinetwillen habe ich sie alle geschaffen. Sieh zu, dass du meine Welt nicht verdirbst und zerstörst; denn wenn du das tust, wird es niemanden mehr geben, sie zu reparieren.“ [Dem Ewigen sei Dank ist ein Ausweg durch den Messias vorbereitet - zur Wiederherstellung aller Dinge (Apg. 1).]

 

Die Schöpfung hat ihre eigene Würde als Gottes Meisterwerk, und obwohl wir Autorität haben, sie zu nutzen, haben wir nicht das Recht, sie zu zerstören oder zu berauben. Rabbi Hirsch sagt, dass der Schabbat dem Menschen gegeben wurde, „damit er nicht in seiner Herrschaft über Gottes Schöpfung überheblich wird“. Am Tag der Ruhe „muss er sozusagen die geliehene Welt an ihren göttlichen Besitzer zurückgeben, um zu erkennen, dass sie ihm nur geliehen ist. In den Prozess der Schöpfung eingebettet und zentral im Leben eines jeden Juden ist die wöchentliche Erinnerung, dass unsere Herrschaft über die Erde l'shem shamayim sein muss - im Namen des Himmels.

 

Wir haben die Wahl. Wenn wir weiterhin so leben, als hätte Gott uns nur befohlen, uns die Erde zu unterwerfen, müssen wir uns darauf einstellen, dass unsere Kinder einen ernsthaft geschädigten Planeten erben und die Zukunft der menschlichen Zivilisation in Frage gestellt wird. Wenn wir unsere Rolle als Herren der Erde als eine einzigartige Gelegenheit begreifen, für den Planeten, seine Lebewesen und seine Ressourcen zu sorgen, dann können wir unseren Status als Verwalter der Welt zurückgewinnen. [Natürlich ist dies messianisch betrachtet erst vollkommen im zukünftigen Zeitalter, im Reich Gottes, unter der Herrschaft des Messias und seiner Nachfolger, zu verwirklichen. Dennoch bereiten wir uns als Nachfolger Jesu schon jetzt in allen Bereichen unseres Lebens auf diese kommende Herrschaft vor. Oder sollten es zumindest mit aller Kraft tun.]