Geheimnisvoller Melchizedek
(Original: Mysterious Melchizedek - www.thebiblejesus.com)
„Nachdem Abraham von der Niederlage gegen Kedorlaomer und die Könige, die bei ihm waren, zurückgekehrt war, ging der König von Sodom hinaus, um ihm im Tal von Shaveh (das ist das Tal der Könige) zu begegnen. Und Melchizedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein; Melchizedek aber war Priester des höchsten Gottes. Und Melchizedek segnete Abraham und sprach: Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, dem Besitzer des Himmels und der Erde; und gesegnet sei Gott der Höchste, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat. Und Abraham gab Melchizedek den Zehnten von allem [d. h. von seiner Kriegsbeute]“ (1. Mose 14, 17-20).
Als Abraham siegreich aus der Schlacht zurückkehrt, nachdem er seinen Neffen Lot vor den vier mesopotamischen Königen gerettet hat, wird er von einem geheimnisvollen Mann getroffen, der aus dem Nichts auftaucht und ebenso schnell wieder aus der Erzählung verschwindet. Melchizedek wird nie wieder persönlich angetroffen. Oder doch?
Die Bedeutung Melchizedeks wird später in nur zwei Bibelstellen erklärt. Die erste findet sich in dem prophetischen Ausspruch von Psalm 110:1ff. Dort verheißt Gott, der Ewige, dem künftigen Nachkommen Davids, also dem messianischen Herrn Davids, das Amt eines ewigen Priestertums nach der Ordnung Melchizedeks verleihen wird. Die nächste Erwähnung von Melchizedek findet sich im Hebräerbrief, wo gesagt wird, dass Jesus Christus selbst all das erfüllt, was Melchizedek als „Typus“ (Vorausschattung) dargestellt hat. Mehr zu diesen Verweisen findet sich später.
Ist Melchizedeks Erscheinung eine Theophanie?
Das Geheimnis um die historische Erscheinung des Melchizedek hat die Phantasie beflügelt und die Frage aufgeworfen, ob Abraham eine Theophanie oder, genauer gesagt, eine Christophanie erlebte, als er dem „geheimnisvollen Melchizedek“ begegnete. Wir müssen uns also fragen: Als Abraham Brot und Wein von Melchizedek, einem Priester des höchsten Gottes, erhielt und als Abraham ihm den zehnten Teil der Beute zahlte, die er in der Schlacht zur Rettung Lots errungen hatte, ist der Patriarch tatsächlich dem „vorinkarnierten Christus“ begegnet, wie einige spätere Theologen spekuliert haben? Vielleicht erklärt dies, warum die Juden dachten, Jesus würde andeuten, dass Abraham ihn gesehen hatte (Johannes 8,57)!?1
Wer hätte gedacht, dass dieser kurze Auftritt Melchizedeks in Genesis 14:17-20 Jahrtausende später zu solch intensiven theologischen Spekulationen führen würde? War Melchizedek wirklich „der Sohn Gottes“, bevor er von Maria Jahrtausenden später geboren wurde? Dieses Rätsel wird noch größer, wenn wir zum Buch der Hebräer kommen, wo es heißt, dass Melchizedek ohne Vater war, ohne Mutter, ohne Stammbaum, ohne Anfang der Tage und ohne Ende des Lebens (Hebr. 7:1-3).
Es besteht kein Zweifel, dass die Heilige Schrift starke Vergleiche zwischen Melchizedek und dem Messias Jesus zieht. Aber die Frage ist, ob die Schrift Melchizedek als Jesus, den Sohn Gottes, vor seiner sogenannten „Inkarnation“ ausgibt. Ist der Typus der Gegen-Typus selbst, der Schatten die Substanz? Ist der Vergleich gleichbedeutend mit Identität? Bevor wir diese Frage beantworten, wollen wir kurz sieben Vergleiche zwischen Melchizedek und Jesus anführen.
Sieben Ähnlichkeiten zwischen Melchizedek und Jesus
1) Melchizedek war König und Priester zugleich
„Denn dieser Melchizedek, König von Salem, Priester des höchsten Gottes ...“ (Hebr. 7:1a). Melchizedek war zuerst ein König. Der letzte Teil seines Namens, Zedek, entpuppt sich als ein dynastischer Name der Jebusiter. Er war der König von Salem.2 Wir wissen das, weil Josua Jahrhunderte später, als die Kinder Israels in das Gelobte Land einzogen, gegen den König von Jerusalem kämpfte, dessen Name Adoni-Zedek war (Jos. 10:1). Der Name Adoni-zedek bedeutet „Mein Herr ist rechtschaffen“.
Wir sehen also, dass der Name Melchi-Zedek ein dynastischer Name der Jebusiter war. Offensichtlich war Melchizedek auch ein guter König, denn sein Name bedeutet „König der Gerechtigkeit“. Weil er ein guter Herrscher war, genoss Melchizedek, wie es scheint, eine friedliche Herrschaft. Melchizedek war auch Priester des Höchsten Gottes, was ihn zu einem Priesterkönig machte. Und genau diese beiden Eigenschaften werden auf den Messias angewandt.
2) Melchizedek und Jesus haben ähnliche Namen und Titel
Melchizedek ist „der Auslegung nach der König der Gerechtigkeit, und danach auch der König von Salem, der der König des Friedens ist“ (V. 2). Dies sind die NT-Titel, die auch Jesus gegeben werden. Können wir daraus schließen, dass Melchizedek und Jesus ein und dieselbe Person sind?
Führen Sie diese Argumentation zu ihrem logischen Schluss. Wenn Gott Nebukadnezar, den König von Babylon, als „König der Könige“ bezeichnet (Dan. 2:37), sollen wir daraus schließen, dass auch Nebukadnezar eine Christophanie des vor-inkarnierten Gottessohnes war, weil Jesus der „König der Könige“ genannt wird,? Oder: weil über den kommenden Messias prophezeit wird, dass er der „Herr unsere Gerechtigkeit“ genannt wird, muss die Stadt Jerusalem, die auch der „Herr unsere Gerechtigkeit“ genannt wird, irgendwie eine Person sein (Jer. 23:6; 33:16)?
Wie ein Freund von mir kürzlich in einer Debatte sagte: „Gleiche Titel ergeben noch keine Identität!“3
3) Melchizedek segnet Abraham und seine Nachkommen
... „der Abraham traf, als er von der Schlacht der Könige zurückkehrte, und segnete ihn“ (V.1b).
Das Buch der Hebräer zeigt sehr detailliert, wie unser Hohepriester Jesus sein Volk heute segnet.
4) Melchizedek empfängt den Zehnten von Abraham
... „dem auch Abraham den zehnten Teil von allem gab“ (V.2).
Indem Abraham den zehnten Teil seiner Kriegsbeute an Melchizedek abgab, erkannte er die Überlegenheit desjenigen an, dem er seinen Zehnten gab. Der Autor des Hebräerbriefs will damit ausdrücken, dass Jesus, der als Priester nach der Ordnung Melchizedeks eingesetzt ist, ein Priestertum innehat, das dem späteren levitischen Priestertum, das von Abrahams Nachkommen durch die Linie Levis abstammt, überlegen ist und Vorrang vor ihm hat.4
5) Melchizedeks Priestertum war unabhängig von seinem Stammbaum
… „ohne Vater, ohne Mutter, ohne Abstammung“ (V. 3a).
Als Melchizedek plötzlich Abraham begegnet, sagt der Text nur, dass er Priester des Höchsten Gottes war. Es gibt keine Erwähnung seiner priesterlichen Abstammung oder irgendwelche „Zeugnisse“ bzw. „Empfehlungsschreiben“.
Später musste man, um Priester des Gottes Israels werden zu können, nachweisen, dass man aus dem Geschlecht Levis stammte. Ein fehlender Stammbaum, der die Zugehörigkeit eines Mannes zu Levi beweist, bedeutete den automatischen Ausschluss vom Dienst als Priester in Israel.5
Was sollen wir also von der rätselhaften Aussage halten, dass Melchizedek ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum war? Aus Gründen, die ich bald aufzeigen werde, kann und darf dies nicht bedeuten, dass Melchizedek ein übermenschliches (d.h. nicht-menschliches) Wesen war.
Was der Text aussagt, ist, dass die Heilige Schrift in Bezug seinen priesterlichen Stammbaum schweigt. Mit anderen Worten war die Abstammung für Melchizedek nicht wichtig, um Gott als Priester zu dienen. Melchizedeks Ernennung zum Priester des Allerhöchsten Gottes war unabhängig von menschlichen Verbindungen oder Beziehungen.
Aber was ist mit dem Rest der Aussage? Nachdem uns gesagt wurde, dass Melchizedek ohne Vater und ohne Mutter war, ohne Stammbaum, wird uns mitgeteilt, dass er weder einen Anfang noch ein Ende des Lebens hatte. Zumindest nach unserer modernen und westlichen Lesart, bedeutet dies, dass Melchizedek keinen typisch menschlichen Anfang hatte (keine menschliche Geburt) und dass er nie gestorben, nicht wahr?
Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, dass wir die Bibel in ihrem eigenen kontextuellen und kulturellen Umfeld lesen müssen, sonst werden wir mit der falschen Botschaft davonlaufen. Vergiss nicht, dass der Schreiber des Hebräerbriefs selbst ein jüdischer Christ ist. Es ist naheliegend, dass er gut etablierte jüdische Argumentationslinien verwendet, um zu verdeutlichen, dass Jesus ein höheres Priestertum innehat als die Leviten.
Jeder, der mit rabbinischen Diskussionen vertraut ist, weiß, dass ihre klassische Standardposition lautet: „Wenn es nicht im Text steht, hat es nicht stattgefunden“. Der hermeneutische Grundsatz der Rabbiner lautete: „Was nicht in der Tora steht, existiert nicht“.6
Unser Autor argumentiert also mit dem, was im Text steht, oder genauer gesagt, mit dem, was nicht im Text steht! Und der Text berichtet nicht, wer Melchizedeks Vater war, oder wer seine Mutter war, oder wie seine Genealogie aussah. Die Heilige Schrift schweigt zu diesen Fragen. Interessanterweise sagten die jüdischen Rabbiner von Sarah, Abrahams Frau, dass sie keine Eltern hatte! Das soll schlicht ausdrücken, dass die Namen ihrer Eltern7 nicht aufgezeichnet sind; nicht, dass Sarah keinen Vater oder keine Mutter hatte!
Wenn wir also lesen, dass Melchizedek weder den Anfang noch das Ende seines Lebens hatte, sollen wir verstehen, dass es keine Aufzeichnungen über seine Geburt oder seinen Tod gibt. Historisch gesehen wurde er geboren, und historisch gesehen ist er gestorben, aber wir haben keine Aufzeichnungen über diese Ereignisse.
Für den Fall, dass man mir vorwirft, ich würde diese Argumentation überstrapazieren, nur um zu beweisen, dass Melchizedek nicht „der der vor-inkarnierte Christus“ war, möchte ich einige Zitate von trinitarischen Gelehrten und Quellen anführen.8
The Expositor's Greek New Testament ... „ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, das heißt, er steht in der Schrift allein, es wird kein berühmter Vater oder eine berühmte Mutter erwähnt, von denen er Macht und Würde hätte erben können. Noch weniger können sein priesterliches Amt und sein Dienst auf die Zugehörigkeit zu einer priesterlichen Familie zurückgeführt werden. Er ist kraft seiner eigenen Persönlichkeit das, was er ist; sein Amt wird nicht durch priesterliche Abstammung oder erbliche Rechte bestätigt ... er hat weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens, d.h. wieder so, wie er in der Heiligen Schrift dargestellt ist. Weder seine Geburt noch sein Tod, weder seine Amtseinführung noch sein Ausscheiden aus dem Amt werden erwähnt.“
Der Expositor's Bible Commentary (Tremper Longman III & David E. Garland General Editors) schreibt unter seinem Eintrag zu Hebräer 7:2b-3) ... dass der Autor sich auf „die Bedeutung dessen, was die Genesis nicht sagt, stützt ... er konzentriert sich auf das Schweigen des Genesis-Textes“
Ariel's Biblical Commentary: „Die messianisch-jüdischen Briefe“, S. 97 ... „es gibt keine Aufzeichnungen über die Geburt oder den Tod von Melchizedek. Beide Ereignisse fanden statt, aber es gibt keine Aufzeichnungen darüber ... Soweit es die biblischen Aufzeichnungen betrifft, war sein Priestertum zeitlos; es gibt keine Aufzeichnungen über sein Ende.“
Professor William Barclay übersetzt den Vers folgendermaßen: „Sein Vater wird nie erwähnt, noch seine Mutter, noch gibt es irgendeine Aufzeichnung über seine Abstammung; es gibt keine Erwähnung des Beginns seiner Tage, noch des Endes seines Lebens …
Hebrews: Understanding the Bible Commentary Series von Donald A. Hagner fasst diese Kommentare zusammen: „Das Argument hat rabbinischen Charakter und zieht große Bedeutung aus dem Schweigen des Textes ...“9
Es ist jedoch erwiesen, dass Jesus einen bedeutenden Stammbaum hat, der bis zu David und Abraham, ja sogar Adam zurückreicht (Mt. 1 und Lk. 2)! Und Jesus hatte eine Mutter, deren Namen wir kennen! Aber was seine Stellung in seinem Hohepriesteramt betrifft, ist dieser Stammbaum nicht relevant bzw. zählt nicht, außer um zu beweisen, dass er kein Levit war!
6) Das Priesteramt Melchizedeks war zeitlos
Unser sechster Vergleich zwischen Melchizedek und Jesus Christus betrifft die Zeitlosigkeit ihrer jeweiligen Ämter als Priester Gottes. Da es keine biblischen Aufzeichnungen darüber gibt, dass Melchizedek einem anderen Priester in seinem Amt nachgefolgt ist, heißt es, dass er „dem Sohn Gottes gleich geworden ist“ (V. 3b).
Das Melchizedekische Priestertum ist (soweit es den biblischen Text betrifft!) zeitlos. Es wird uns nicht gesagt, wann er sein Amt begann oder wann es endete. Es gab keine feste Amtszeit. Und wir haben keine Aufzeichnungen (!), dass ein anderer Priester ihm folgte. Und in dieser Hinsicht wurde Melchizedek „dem Sohn Gottes gleichgestellt, [dass] er ein Priester bleibt ewiglich“ (V. 3).
Da es keine Aufzeichnungen über Melchizedeks Tod und keinen Nachfolger gibt, bleibt er also ein Priester in Ewigkeit.10
7) Das Priestertum Melchizedeks war universell
Als heidnischer Priester des Höchsten Gottes war Melchizedeks Dienst nicht auf ein bestimmtes Volk beschränkt. Während die Leviten nur Israel dienten, war Melchizedek nicht so eingeschränkt. Sein Priestertum war nicht national, sondern universal, und auch in dieser Hinsicht wurde er „dem Sohn Gottes gleichgemacht“ ... (V. 3b).
Warum diese sieben Vergleiche beweisen, dass Melchizedek nicht der präinkarnierte Messias selbst war
Was ist nun der Sinn dieser sieben Ähnlichkeiten, dieser sieben Vergleiche zwischen Melchizedek und dem Messias? Beweisen sie, dass die Juden, die Jesus zuhörten, ihn richtig verstanden, als er sagte, Abraham habe ihn tatsächlich in einer vorinkarnierten Christophanie gesehen, wie in Johannes 8:57 beschrieben wird?
Nun, rein logisch betrachtet ist das lächerlich. Sich von jemand anderem zu unterscheiden, beweist, dass ich nicht dieser andere jemand sein kann! Der Unterschied in nur einem Punkt beweist die Unterscheidung der Identität. Und bevor jemand einwendet, indem er sagt: „Aha! Greg, du fällst in die Kategorie des menschlichen Denkens und der Philosophie und nicht in diejenige Schrift.“ Erlaube mir, meine Behauptung anhand der Heiligen Schrift zu beweisen. Aber für das Protokoll: Logisch zu sein bedeutet nicht antibiblisch zu sein!
Der Schreiber des Hebräerbriefs wendet genau dieselbe Argumentation an, wenn er sagt: „Denn dieser Melchizedek … ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, der weder Anfang noch Ende des Lebens hat, sondern dem Sohn Gottes gleich geworden ist“ … Beachte genau, dass er nicht sagt, Melchizedek sei der Sohn Gottes, sondern er sei dem Sohn Gottes gleich!
Um seinen Standpunkt darzulegen, verwendet er ein einzigartiges Wort, das nirgendwo sonst im griechischen NT zu finden ist.11 Laut The International Standard Bible Encyclopedia „geht das Verb aphomoioo immer von zwei verschiedenen und getrennten Identitäten aus, von denen die eine eine Kopie der anderen ist. So werden Melchizedek und der Sohn Gottes als zwei getrennte Personen dargestellt ...“12 Und in diesem Fall haben wir nicht eine, nicht zwei, nicht einmal drei, sondern sechs Ähnlichkeiten.
Jemandem gleich (ähnlich) zu sein, bedeutet, dass man nicht diese Person sein kann! Mein jüngerer Bruder ist mir sehr ähnlich, aber er ist nicht ich! Ähnlichkeit beweist immer zugleich Unterschiedlichkeit der Identität! Wenn ich noch einmal den viel beachteten The Expositor's Bible Commentary zitieren darf: „Nichts im Alten Testament [Hebräische Schriften] deutet darauf hin, dass Melchizedek historisch gesehen keine Eltern hatte, nicht geboren wurde und nicht starb, und das Argument unseres Autors … ist eher ein Argument aus dem literarischen Schweigen heraus, das Melchizedek als ein literarisches Modell vorstellt … für denjenigen, der kommen sollte, den Sohn Gottes …“13
Psalm 110:1.4 unterscheidet Melchizedek vom Messias
Der aufmerksame Leser wird feststellen, dass der Herr in Vers 1 von Psalm 110 Davids zukünftigen Herrn in der zweiten Person anspricht („der Ewige spricht zu meinem Herrn: „Setze dich zu meiner Rechten“), während in Vers 4 auf Melchizedek in der dritten Person Bezug genommen wird („Der Ewige hat geschworen und wird seine Meinung nicht ändern: Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchizedeks (Ps. 110:4). Dieser prophetische Psalm unterscheidet also Melchizedek vom Messias.14
Um Priester sein zu können muss man ein Mensch sein
Eine der Voraussetzungen für das Priesteramt ist gemäß der Bibel, dass der Kandidat ein Mensch sein muss. „Denn jeder Priester, der aus der Mitte der Menschen genommen wird, ist für die Menschen geweiht in den Dingen, die Gott betreffen …“ (Hebr. 5:1).
Es wird sogar ausdrücklich gesagt, dass Melchizedek ein Mensch war … „Und nun bedenkt, wie groß dieser Mann war“ (Hebr. 7:4). Viel deutlicher kann man nicht werden! Melchizedek war ein Mensch, kein Engel, keine himmlische Gestalt, nicht der sogenannte „ewige Sohn“!
Es sollte klar sein, dass Jesus auch nach der trinitarischen Theorie erst dann ein Mensch wurde, als er von Maria durch die Vermittlung des Heiligen Geistes empfangen wurde. Die Trinitarier behaupten, dass Jesus vor seiner Menschwerdung in der Lage war in menschlicher Gestalt zu erscheinen, aber er war im alttestamentlich-heilsgeschichtlichen Zeitalter nicht wirklich ein menschliches Wesen.
Und vergiss nicht, dass der Schreiber des Hebräerbriefs bereits seine grundlegende Aussage getätigt hat, dass der Sohn Gottes nirgendwo in den Hebräischen Schriften [direkt] sprach … „Vor langer Zeit sprach Gott zu unseren Vorfahren (Vätern) durch die Propheten in vielen und verschiedenen Weisen, aber in diesen letzten Tagen hat er zu uns in einem Sohn geredet …“ (Hebr. 1:1-2).
Der Sohn Gottes hat also nicht in den Hebräischen Schriften (AT) gesprochen! Erst seit der Messias Jesus in diesen letzten Tagen ins Leben gerufen wurde, hat Gott zu uns in seinem Sohn gesprochen. Jesus, der Sohn Gottes, hat nie eine einzige Silbe als Gottes Bote in den Hebräischen Schriften geäußert! Das ist für unseren Autor unumstößlich. Aber Melchizedek als Priester des Höchsten Gottes sprach zu Abraham mit den Worten: „Gepriesen sei Gott, der Höchste, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat“ (Gen. 14:20)!
Nun könnte man einwenden: „Aber Greg, heißt es in dem Vers nicht wörtlich, dass Melchizedek dem Sohn Gottes gleichgemacht wurde? Deutet dies nicht darauf hin, dass Melchizedeks Priestertum nach dem Vorbild des ursprünglichen Priestertums des Sohnes Gottes eingesetzt wurde, das vor ihm existierte? Genauso wie die Stiftshütte nach dem Vorbild der ewigen und himmlischen Stiftshütte gebaut wurde (Hebr. 8:5), scheint Melchizedeks Priestertum nach dem Muster des bereits existierenden Priestertums des Sohnes Gottes eingesetzt zu sein. Melchizedek war die Kopie des ursprünglichen himmlischen Priestertums des Sohnes Gottes, das bereits im Himmel existierte!“15
Wenn man von einem trinitarischen (oder arianischen) Paradigma ausgeht, kann man diesen Einwand nicht leichtfertig abtun! Arthur Pink zum Beispiel macht eine große Sache daraus. Er schreibt: „Es ist sehr bemerkenswert, dass nicht der Sohn Gottes Melchizedek gleichgestellt wurde, sondern umgekehrt. In der zeitlichen Ordnung hat Christus vor Melchizedek existiert; in der natürlichen Ordnung war Melchizedek ein Priester, bevor Christus es war. Das Priestertum des Sohnes Gottes, der von den Ewigen Drei geweiht und eingesetzt wurde, war das Original, und das Priestertum Melchizedeks lieferte die Kopie; und eine im voraus gegebene Kopie ist dasselbe wie
der Typus. Melchizedek wurde dem Sohn Gottes als Typus gleichgestellt.“16
Wir müssen also zustimmen, dass der Text wirklich sagt, dass Melchizedek dem Sohn Gottes gleichgestellt wurde, und nicht andersherum! Aber wir müssen uns fragen: Wie kommt Pink auf die Idee, dass es sich um eine Frage der „zeitlichen Abfolge“ handelt? Christus hat vor Melchizedek gelebt? Damit wird in den Text hineingelesen, was dort nicht steht17.
Nein, nein. Der Schreiber des Hebräerbriefes drückt aus, dass Melchizedek dem Sohn Gottes gleichgestellt wurde, was sein fortdauerndes Priestertum betrifft, nicht in Bezug auf seine persönliche Präexistenz. Beende schlicht den Satz … dem Sohn Gottes gleich gemacht, bleibt er ein ewiger Priester! Der Kontext betrifft das Fortbestehen des Priestertums.
Und wann hat das Priestertum von Jesus, dem Sohn Gottes, begonnen? In der vergangenen Ewigkeit oder zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt? Der Schreiber des Hebräerbriefs möge selbst antworten: „Dieser aber, nachdem er ein Opfer für die Sünden für immer dargebracht hatte, setzte sich zur Rechten Gottes“ (Hebr. 10:12). Die inspirierte Antwort lautet also: nach seiner Kreuzigung, nach seiner Auferstehung, nachdem er in das himmlische Heiligtum eingetreten war, um sein eigenes Blut im Allerheiligsten darzubringen, nach seiner Erhöhung zur Rechten Gottes empfing der Mensch Messias Jesus sein Priestertum!
Es gibt keine „Gottessohn-Vers“ in den Hebräischen Schriften, die ihn irgendwo auf der Erde verorten!
In der Tat: jeder Hinweis in den Hebräischen Schriften, der den Sohn Gottes ankündigt, verortet ihn in der Zukunft auf der Erde. Es gibt keine Gottessohn-Stellen, die darauf hinweisen, dass er vor der Geburt Jesu im Himmel gewesen sei (z. B. Ps. 2:7; 2. Sam. 7:12-14; Hos. 11:1). Die Bibel weiß nichts von einem „ewigen Sohn Gottes“, sondern nur von einem gezeugten Sohn Gottes18, der laut Definition ein Sohn ist, der also einen persönlichen Anfang in der Zeit hatte (Luk. 1:35). Punkt!
Jesus, kraft seiner Auferstehung zur Unsterblichkeit und kraft seiner Erhöhung zur Rechten Gottes in der Höhe, hat nun ein ewiges Priestertum. Melchizedek, der weder Vater noch Mutter noch einen Stammbaum hatte, dessen Tod sogar nicht erwähnt wird, soweit die Aufzeichnungen reichen, soll ein ständiges Priestertum haben. In dieser Hinsicht ist Melchizedek dem dem Sohn Gottes gleich.19
Theophanien waren vergänglich!
Hier ist der Knackpunkt, warum Melchizedek ein echtes menschliches Wesen war, ein Mann, und nicht eine übernatürliche himmlische Gestalt. Eine Theophanie oder eine sogenannte Christophanie war immer vorübergehend und vergänglich.
Nach der Verkündigung seiner Botschaft oder der Ausführung seiner Handlung … Puff … verschwand der „Engel des Herrn“ von der physischen Szene. Plötzlich war er aufgetaucht, genauso plötzlich war er weg. Nach allen Berichten war das ziemlich unheimlich. Und die besuchte(n) Person(en) wurden in einem Zustand der Ehrfurcht und manchmal auch der Angst zurückgelassen, sodass sie dachten, sie würden sterben.
Eine Theophanie hatte nie ein langfristiges oder dauerhaftes Amt inne, geschweige denn einen Wohnsitz unter den Menschen! Deshalb kann Melchizedek keine Christophanie gewesen sein, denn er war der König des Stadtstaates Salem, was ihn als ständigen Bewohner auszeichnete!
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung? Wir müssen die Bibel mit hebräischen Augen lesen und nicht mit der Denkweise der westlichen Welt (ich habe ein Buch über diese Falle geschrieben!). Wenn wir diese Grundregel der Hermeneutik befolgen, bewahrt uns das vor allen möglichen wilden Spekulationen. In diesem Fall wird sie die Theorie, Melchizedek sei der Messias Jesus, der Sohn Gottes selbst gewesen, im Keim ersticken!