Der Johannesprolog: Wer oder was war das Wort?
von Andreas C. Fischer, B.A.
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ (Joh. 1:1-3)
„Aufgrund unseres Glaubens an Gott verstehen wir, dass das ganze Universum durch Gottes Befehl erschaffen wurde, so dass alles, die sichtbaren und die unsichtbaren Dinge, aus mit unseren Sinnen nicht Wahrnehmbarem geworden ist.“ (Hebr. 11:3)
Das große Vorhaben Gottes (vgl. Hebr. 11:3 gr. rhema) beinhaltete die Absicht, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit, einen Sohn (Jesus) zu zeugen (Ps. 2:7; Hebr. 1:3) und von einer Jungfrau (Maria) geboren werden zu lassen. In Galater 4:4 umschreibt Paulus dieses Ereignis: „Als die Zeit erfüllet war“. In Johannes 1:1 wird dieses göttliche Unterfangen logos, das „Wort“ genannt. Wie kam es, dass dieses sächliche „Wort“ personifiziert, d.h. zu einer Person umgedeutet wurde?
Jesus, der einzigartige Sohn Gottes, kam in die Welt mit der Bestimmung, der Prediger dieses „Wortes“ zu sein, des Evangeliums vom Königreich Gottes (Lk. 4:43). Er hatte den Auftrag Gottes, den Menschen die Heilsbotschaft zu verkünden. Viele Stellen im Neuen Testament umschreiben das Evangelium vom Reich Gottes mit dem Ausdruck „Wort“. Das „Wort“ bewirkt die Wiedergeburt derer, die das Heil erlangen sollen (siehe 1. Petr. 1:23-25; vgl. Mt. 13:19; Lk. 8:11-12).
Der Apostel Johannes lieferte in seinem ersten Sendschreiben einen eigenen Kommentar zu den einleitenden Worten seines Evangeliums [auch ‚der Prolog‘ genannt], um ein Missverständnis zu vermeiden. In 1. Joh 1:1-2 macht er ganz klar, dass „das, was von Anfang an war“, das „Wort“, ein Versprechen des ewigen Lebens ist. Er schrieb auch, dass „das Leben mit/bei dem Vater war“ [gr. pros wie in Joh 1:4]. Gott allein besitzt Unsterblichkeit. So versteht Johannes das „Wort“ als die Verheißung des Lebens des kommenden Zeitalters. Es ist der Inbegriff des Evangeliums vom Reich Gottes in der christlichen Botschaft. Nichts deutet darauf hin, dass er das „Wort“ als einen noch nicht geborenen, physisch noch nicht existierenden Sohn oder gar eine Person mit einer Präexistenz in der Ferne der Ewigkeit verstanden hätte.
Was in den Plan Gottes gehört, ist Seine Verheißung der Unsterblichkeit. Die Bedingung ist, dass der Mensch Gott und Seinem Botschafter Jesus glaubt und gehorcht (Hebr. 5:9; Joh. 3:36; Röm. 1:5; 16:26). Grundsätzlich geht es Gott um das Herz und den Verstand der Menschen. Von einem Leben im kommenden Zeitalter (manchmal das ‚ewige Leben‘ genannt) sagt die Schrift, es sei pros ton patera, „mit/bei dem Vater“ (1. Joh. 1:2). Hier steht dieselbe wichtige Präposition pros ton theon, „mit/bei Gott“, wie in Joh. 1:1 und Röm. 8:31. Der griechische Ausdruck pros ton kann auch bedeuten, „betreffend“ oder „über diese Dinge“. Die Manifestation dieser göttlichen Dinge fing just in dem Moment an, als Jesus, der Sohn Gottes, Sein Kind, als Erdenbürger zu existieren begann, d.h. als er von Gott auf wunderbare Weise in Maria gezeugt wurde.
Johannes selbst spricht ganz klar von einem zeitlichen Anfang des Sohnes. Die Verkörperung oder Einverleibung der göttlichen Attribute setzte sich – in zunehmender Weise – während des gesamten irdischen Lebens Jesu fort. Die Schlüsselverse zu diesem ununterbrochenen Prozess sind Joh. 1: 14; Lk. 1:35 und Mt. 1:18.20. In 1. Joh. 5:18 beschreibt der Apostel den Sohn sorgfältig als „den, der gezeugt und ins Dasein gebracht wurde“. (Das NT sagt überhaupt nichts über eine „ewige Zeugung“, ein Ausdruck, der erst im 4. Jahrhundert in der Doktrin der jungen Kirche auftauchte.)
Johannes stimmt exakt mit Matthäus überein. Auch er schreibt, dass der Sohn „in ihr [Maria] gezeugt/empfangen und ins Dasein gebracht wurde“ (Mt. 1:20). In der Unendlichkeit des Universums gab es keinen „Sohn Gottes“. VOR dem Beginn des Lebens Jesu im Mutterleib Marias existierte er noch gar nicht. Der Ursprung dieses Lebens war also die Zeugung des Sohnes durch ein übernatürliches Wunder. Lukas 1:35 erklärt diese Besonderheit ausdrücklich, dass gerade deswegen (gr. dio kai) der Titel für Jesus „Sohn Gottes“ lautet. Gott hat ihn gezeugt, Er war sein Vater (Ps. 2: 7).
Damit gibt die Bibel den Grund seiner Herkunft durch ein einmaliges biologisches Phänomen. In seinem jüdischen Umfeld galt Gottes Wort stets als der unabdingbare Befehl des allmächtigen Gottes. Der Vorgang der Zeugung eines Sohnes in Maria erinnert uns an die erste Schöpfung in der Genesis, wo Gott die Dinge durch Sein Wort ins Dasein ‚sprach‘ oder ‚befahl‘. In seinem ‚Prolog‘ beschreibt Johannes, mit ähnlichen Worten wie Matthäus (Mt. 1:1; 1:18.20), eine neue Schöpfung, deren Beginn die Zeugung des einzigen und einzigartigen Sohnes Gottes, Jesus, war (Joh. 1:14). Die Heilige Schrift verwendet übrigens nirgends den Begriff „Gott, der Sohn“. Dieser unbiblische Terminus erscheint erst im Wortlaut des Credos von Nicäa.
Wer oder was war logos? Unseren Standpunkt zum „Wort“ bringt Dr. Caird von Oxford kurz und bündig zum Ausdruck, wenn er fragt: „Wie soll logos in Joh 1,1 richtig übersetzt werden? Ich schlage vor, dass mit logos Johannes in erster Linie „Zweck“ meinte. Am Anfang war der Zweck, der Zweck im Denken Gottes, der Zweck, der Gottes eigenes Wesen oder Seinen Charakter beinhaltete. Das Konzept ist sicherlich denkbar, Gott völlig mit seinem Liebesplan zu identifizieren (denn Gott ist Liebe, 1. Joh 4:16) und dass dieser Plan in Jesus von Nazareth menschliche Gestalt angenommen habe, aber … die Apostel identifizierten Jesus definitiv nicht mit dem Einen Gott“1.
Es gibt genügend biblische Passagen, die eine Identifizierung des Menschen Jesus mit dem Ewigen (Gott) unmöglich machen, z.B. Ps. 110:1; Mal. 3:1. „Es wäre voreilig, aus den Worten Petri zu schließen, dass der Apostel Petrus [den Herrn Jesus] Christus mit Jehova (sic.) identifiziert habe“, schrieb schon 1910 Dr. Charles Bigg, Regius Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford.2
Wie kann logos auch übersetzt werden? Die Aussage „Die Weisheit Gottes sagte“ in Lukas 11:49 veranschaulicht die Tatsache, dass die Weisheit, ähnlich dem „Wort“, metaphorisch personifiziert werden konnte. Einem ideellen Begriff wird sozusagen die Rolle einer Person zugeschrieben, um Gott in Aktion zu umschreiben. Man könnte für logos in Joh 1:1 sagen, „die Weisheit Gottes war mit/bei Gott“. (Die Bibel in gerechter Sprache ist die einzige deutsche Bibelversion, welche logos in Joh 1:1 mit Weisheit übersetzt.) Als der Mensch Jesus, der von Gott gezeugte Sohn, auf dieser Erde lebte („unter uns wohnte“ Joh. 1:14), verkörperte sich die Weisheit in einem perfekten menschlichen Wesen (der Schlüsselvers ist wiederum Joh. 1:14).
Ein Fehler ist es jedoch, die „Weisheit“ oder eben logos als eine zweite Person neben Gott, dem Vater, aufzufassen. Die Darstellung als Personen ist literarisch. Die [ideelle oder angedachte] Personifizierung des „Wortes“ (logos) bedeutet nicht, dass VOR der Zeugung/Empfängnis eines männlichen Embryos in Maria, das „Wort“ als ein reales Wesen vorgängig existiert hätte. Free Bible Online sagt über Logos: „Der göttliche Verstand, der Ausdruck Gottes, der aktive Aspekt der Göttlichkeit, wird wie in 1. Mose 1:1 durch einen Befehl (das ‚Wort‘) zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Dasein gesprochen.“
F.F. Bruce schrieb: „Behauptet jemand die Präexistenz (Jesu), kann ich zumindest akzeptieren, dass das ewige Wort oder die Weisheit Gottes schon von Ewigkeit her bestanden haben, und dass diese göttlichen Attribute in Jesus zu einem späteren Zeitpunkt fleischgeworden sind.“ Bruce fuhr fort, dass er früher einmal der Meinung gewesen sei, der Apostel Johannes habe die Theorie der Präexistenz des Sohnes befürwortet, dass er (Bruce) aber in seinen späteren Überlegungen sehr unsicher geworden sei, ob auch der Apostel Paulus an einen bereits VOR der Geburt irgendwo und irgendwie in der Ewigkeit existierenden Sohn geglaubt habe.
Fünfzig unterschiedliche Übersetzungen in englischer Sprache, die nicht davon ausgehen, dass logos angeblich eine zweite Person (in einer Triade) sei, finden Sie unter Focus on the Kingdom vom Juli 2004 auf www.restorationfellowship.org. Diese Übersetzungen geben korrekt das sächliche Pronomen „es“ wider; sie verwenden nicht das maskuline Fürwort „er“ für „logos“, als ob dieses eine Person gewesen wäre. Die Verwirrung entsteht, wenn diese Pronomina verwechselt werden, was in deutschen Übersetzungen meistens der Fall ist. Man beachte die wichtigen Worte des führenden Christologen Dr. James Dunn über Paulus in 1. Korinther 8:6 und zu Johannes 1: „Christus wird weder bei Paulus noch bei Johannes als ein präexistentes Wesen identifiziert, sondern wird der schöpferischen Kraft und dem kreativen Handeln Gottes gleichgesetzt ... Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Jesus je von sich selbst dachte oder gesprochen hätte, als habe er vor seiner Geburt in irgendeiner Art oder Weise mit/bei Gott präexistiert.“3
Dr. James Dunn erklärt in seinem Werk, Unity and Diversity in the NT - Einheit und Vielfalt im Neuen Testament: „Jesus betrachtete sich selbst als Botschafter der Weisheit, ein Selbstverständnis, das besonders in Matthäus 11:25-27 sowie Lukas 7:31-35 und 11:49-51 deutlich zum Ausdruck kommt. Hier müssen wir uns unbedingt daran erinnern, dass im Judentum die Weisheit [hebr. chokma] nur eine Möglichkeit war, über Gottes Handeln in Schöpfung, Offenbarung und Erlösung zu sprechen, ohne tatsächlich den Namen Gottes in den Mund zu nehmen, selbst wenn dies respektvoll geschah. Weisheit ist quasi das Geistige Eigentum Gottes und bezeichnet, wie der Name Gottes, der Geist Gottes und Logos (das Wort) usw., das immanente Wirken Gottes, ohne die Transzendenz Gottes zu schmälern. Im Konzept des vorchristlichen Judentums galt die Weisheit keinesfalls als ein rangmäßig geringeres Wesen eines himmlischen Konzils. Auch wurde sie nicht als eine göttliche Hypostase dargestellt (wie in der späteren trinitarischen Gottesvorstellung, gemäß Augustinus, De Trinitate, VII, 6-9). Eine solche Entwicklung, wie sie in der christlichen Theologie stattgefunden hat, wäre im strengen Monotheismus des Judentums undenkbar und für Jesus selbst unannehmbar gewesen [Mk. 12:29; Joh. 17:3].“
Weisheit ist nicht mehr und nicht weniger als eine ideelle Personifizierung der Immanenz Gottes zu verstehen. Die Weisheit wurde überhaupt nicht als eine eigenständige Person innerhalb einer Gottheit – sei es ein Wesen oder eine Substanz – betrachtet, so wenig wie das rabbinische Konzept „einer bereits seit Äonen existierenden Thora“, die ein Teil Gottes war. Paulus verwendet den Namen Jesus nie für einen bereits Existierenden. Metaphorisch sagt er: „Jesus war der Mann, in welchem sich die präexistente Weisheit verkörperte (auch die Weisheit war schon immer da) …“.
Selbst bei Johannes ist Jesus, wie bei Paulus, als der Mann anzusehen, durch den sich logos, das präexistente „Wort“, verkörperte. Dazu war er von Gott berufen. Jesus entwickelte sich im Verlaufe seines Lebens zu dem Mann, welcher – mehr als jeder andere Mensch auf Erden – Gott zum Ausdruck brachte. Präexistent war lediglich logos, das „Wort“, das „Konzept“, der „Plan“ Gottes. Logos ist die Intelligenz des Unsterblichen Gottes.
So schreibt Anthony Buzzard in seiner Version des Neuen Testaments über die ersten Verse des Prologs, den wir auf Deutsch übersetzt haben: „Am Anfang war Gottes logischer Plan,4 und diese Erklärung war bei Gott, bezog sich auf Ihn als Sein Projekt, und war der vollständige Ausdruck von Gott selbst. Dies [alles] war am Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe entstanden, und ohne dasselbe kam nichts ins Dasein, von dem was entstanden ist.“
In Psalm 110:1 stehen im hebräischen Text zwei aramäische Namen, adonai bzw. adoni. Diese Namen oder Titel wurden in der griechischen Septuaginta (LXX) mit kyrios (Herr) übersetzt. Die durch diese undifferenzierte Übersetzung verursachte Verwirrung lässt sich leicht korrigieren: Während der eine Herr (adonai) eindeutig JHWH (den Herrn Gott) bezeichnet, bleibt die Frage, wer ist der andere, adoni genannte Herr? Offensichtlich kann er nicht auch JHWH sein. Es handelt sich zweifelsohne um ein anderes, erhabenes Wesen, das der Schreiber als ‚mein Herr‘ (adoni) anspricht (1. Korinther 8:5-6, Eph 4:5-6). Kurzum, es ist ein prophetisches Zwiegespräch zwischen Gott, dem Vater und Seinem Sohn, Christus Jesus. Christus ist der Messias, der Gesalbte.
Der Glaube an einen Gott ist der wohl wichtigste Teil des jüdischen Erbes im christlichen Dogma, wie Christus selbst bezeugt, denn im Judentum lautet das Bekenntnis „Gott ist Einer“. Es gibt nur einen Gott (5. Mose 6:4). Davon geben Röm. 3:30; Gal. 3:20; 1. Tim. 2:5 ebenfalls Zeugnis; man vergleiche auch Jak. 2:19. Hier beweist sich das von Christus begründete Christentum als eine Fortpflanzung des Judentums, insbesondere mit seinem monotheistischen Credo (Mk. 12:29). Es ist das wichtigste aller Gebote, wie Jesus selbst bestätigte. Innerhalb Israels und der jüdischen Nation wäre eine solche Bekräftigung zu Zeiten Jesu unnötig oder zumindest überflüssig gewesen – Juden und Christen teilten den Glauben an Gottes Einheit [im Sinne der Singularität].
Doch in der überhand nehmenden Heidenmission innerhalb des Christentums rückte diese jüdische Selbstverständlichkeit, angesichts des weitverbreiteten Glaubens der nicht-jüdischen Gefolgschaft Jesu an „viele Götter“, in den Vordergrund. Es wurde versucht, zwei Personen – beide in Psalm 110:1 in der griechischen LXX Herr (kyrios) genannt – innerhalb einer Existenz bzw. eines Wesens (einer Gottheit) zu vereinen. Da sich Jesus selbst mit dem Vater als „eins“ bezeichnete, wurde fortan eine veritable „Personalunion“ zwischen Vater und Sohn propagiert. Wie der Kirchenvater Augustinus schrieb (De Trinitate, VII, 6-9): „Und weil bei Gott sein und weise sein ein und dasselbe ist, deshalb ist Vater, Sohn und Heiliger Geist ein Wesen. Und wiederum: nichts anderes ist bei Gott das Sein und das Gottsein. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind also ein Gott.“ Seine Auslegung basierte absolut nicht auf der Schrift.
„Ein Punkt, den wir an dieser Stelle besonders beachten müssen, ist, dass Paulus Jesus nicht deshalb als ‚Herrn‘ bejubelte, um ihn mit Gott zu identifizieren, sondern eher, um ihn von Gott zu unterscheiden (vgl. besonders 1. Kor 15:24-28) ... Für Paulus wird sogar der Titel ‚Herr‘ zu einem Mittel, Jesus von Gott zu differenzieren, anstatt ihn Gott gleichzustellen (Röm. 15:6; 1. Kor. 8:6; 15:24-28; 2. Kor. 1:3; 11:31; Eph. 1:3.17; Phil. 2:11; Kol. 1:3). Paulus war und blieb ein unitarischer Monotheist.“5
So schrieb auch Karl-Heinz Ohlig über die zeitlich später beginnende Evolution [etwa vom 4. Jh. an] der Dreifaltigkeit. „Egal, wie man die einzelnen Schritte der Entwicklung interpretiert, sicher ist, dass die Trinitätslehre, wie sie letztlich sowohl im Osten als auch im Westen zum ‚christlichen Dogma‘ wurde, keinerlei biblische Grundlage besitzt und auch keine ‚kontinuierliche Sukzession‘ hat. Die Lehre hat keine Rückbindung an das NT.“6
Das namhafte Theological Dictionary of the New Testament, TDNT hält fest: „Johannes schreibt die Zeugung von Jesus ausdrücklich Gott (dem Vater) zu (1. Joh. 5:18; Joh. 1:13)“ (Band 1, S. 671). Dieses nach dem neuesten Stand der Wissenschaft verfasste monumentale Nachschlagewerk erkennt an, dass Johannes 1:13 sich auf die Besonderheit der jungfräulichen Geburt bezieht. Johannes harmoniert offenbar elegant mit Matthäus und Lukas.
Dr. Dunn gibt uns eine unmissverständliche Warnung: „Von Christus als von einem ‚aus dem Himmel herabkommenden Wesen‘ zu sprechen, muss unbedingt als metaphorisch angesehen werden; tut man das nicht, führt es unweigerlich zu einer Art Polytheismus ... Selbst von der Inkarnation (Fleischwerdung, Menschwerdung) von jemandem, Gott-Sohn, zu sprechen, kann irreführend sein, außer, die Sohn-Christologie des Johannes wird … als Ausdruck derselben Weisheit/Wort-Christologie gesehen. Andernfalls besteht die Gefahr einer allzu wörtlichen Übersetzung der Vater-Sohn-Sprache und der Abkehr von der Singularität, der Ausschließlichkeit Gottes … zu einer Form des Polytheismus. Das Judentum wie auch der Islam werfen gerade wegen der Trinitätsdoktrin dem Christentum Vielgötterei vor. Der Bruch zwischen dem jüdischen Denken und dem etablierten Judentum, wurde durch die verleumderische Anklage des religiösen Establishments gegen Jesus verursacht, dass ‚du (Jesus), der du ein Mensch bist, dich zu [einem] Gott machst‘ (Joh. 10:33)“.7
Die christliche Theologie hat diesen diskreditierenden Anklagepunkt auf ihre Weise tradiert, und zwar durch die „Hohe Christologie“, d.h. hat sie Jesus zu Gott gemacht. Jesus hat nie und nirgends behauptet, er sei Gott. Jesus war der Mensch, der die Weisheit/das Wort Gottes sowie „Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ in purer Weise zum Ausdruck brachte. Jesus ist kein ewig gezeugter „Gott, der Sohn“, der angeblich von Gott, irgendwoher aus der Ewigkeit, auf die Erde gesandt worden sei. Jesus ist das, was aus Weisheit/Wort im Laufe seiner Reifung während seines Erdenlebens aus ihm wurde. „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen“ (Lk. 2:52). Es handelt sich also im Leben Jesu um einen Lernprozess, und zwar lernte Jesus Gehorsam gegenüber Gott durch das, was er litt (Hebr. 5:8-9).
Die Inkarnationslehre, die Fleischwerdung, die im Neuen Testament offensichtlich zum Ausdruck kommt, kann nur dann richtig verstanden werden, wenn sie als die Selbstoffenbarung Gottes [logos, ideelles Wort, nicht personifiziertes Wort] durch einen Menschen verstanden wird. Vgl. „Siehe, sie sagen zu mir: Wo ist das Wort des HERRN? Es soll doch kommen!“ (Jer. 17:15, ELB)]. Glaubt man Matthäus und Lukas, kann man die Theorie der Dreifaltigkeit unmöglich akzeptieren. Johannes darf nicht gegen Matthäus und Lukas (und natürlich auch nicht gegen Petrus und Paulus) ausgespielt werden.
Was bedeutet aber die Stelle in Offenbarung 19:11-13, wo steht: „Ich sah den Himmel offen. Ein weißes Pferd stand dort. Sein Reiter hieß der Vertrauenswürdige und der Wahre. Er ist gerecht und fair, wenn er regiert, und er ist gerecht und fair, wenn er Krieg führt. Seine Augen waren wie eine leuchtende Flamme. Auf seinem Kopf waren viele Diademe. Auf ihm stand ein Name geschrieben, den niemand außer ihm selbst kennt. Er trug ein Gewand, das mit Blut bedeckt war, und sein Name ist: Das Wort Gottes.“
Das Substantiv Name ist hier wichtig: Der Begriff Name steht für das gesamte Programm, im Sinne des lateinischen Spruches nomen est omen. Jesus als Sohn Gottes ist der Mensch, zu dem das Wort/die Weisheit Gottes wurde (Joh. 1:14). Das „Wort“ ist das NT-Synonym für die Gute Nachricht vom Reich Gottes. Jesus ist der erste Verkünder, er ist der Herold und der Prediger dieser Frohen Botschaft. Er, der Messias, kann mit Fug und Recht als Gottes „Wort“, oder als Sein Sprecher bezeichnet werden, denn er repräsentiert auf einzigartige Weise seinen Vater, Gott, den Allmächtigen. Jesus war Gottes „Wort“, Seinem Befehl immer gehorsam. Auf keinen Fall wurde er selbst Gott, sondern bleibt Sein Agent.
Der Messias Jesus (der Gesalbte) war und ist der volle Ausdruck Gottes, seines Vaters, in der Weise wie er selbst sagte, dass, „wenn ihr den Sohn gesehen habt, so habt ihr den Vater gesehen“ (Joh. 14:9). „Sehen“ muss hier „verstehen und begreifen“ bedeuten, da niemand Gott jemals „gesehen“ hat (Joh. 4:12). Jesus spiegelt das Wort und den Charakter seines Vaters wider, da der vollkommene Sohn, sündlos, immer verantwortungsvoll den Willen des Vaters ausgeführt hat. Er hat nichts von oder aus sich selbst getan. Deshalb hatte Gott, der Vater auch Wohlgefallen an Seinem Sohn (Mt. 3:17; Mk. 1:11).
Der einst zweifelnde Jünger Thomas gelangte schließlich zu diesem vollen Verständnis, als er den auferstandenen Jesus Christus respektvoll als „meinen Herrn und meinen Gott“ begrüßte (Joh. 20:28) und mit Staunen zum Ausdruck brachte: „Jetzt sehe (verstehe, begreife) ich, was ich vorher nicht verstand, dass, wenn ich den Sohn gesehen habe, ich Gott, den Vater, gesehen habe.“
1 Dr. G.B. Caird, New Testament Theology, S. 332
2 International Critical Commentary zu 1. Petrus, zitiert von Prof. Hort, in seinen Dissertations.
3 Christology in the Making, S. 182, 254
4 Johannes schreibt im 1. Vers drei Mal den griechischen Ausdruck logos. Die Bedeutung von logos ist: Wort, Sprache, auf Verstehen angelegte Rede, Vernunft, Weltvernunft, umfassender Sinn, Begriff, logisches Urteil, Gottes Weltschöpfungskraft, Offenbarung, Wille Gottes und mehr. Am Ende des Evangeliums von Johannes in diesem Buch findet sich eine längere Erklärung zum 1. Vers des johanneischen Prologs. Vgl. Hebr. 11:1-3 und die Fußnoten.
5 siehe Dr. James Dunn, Unity and Diversity in the NT - Einheit und Vielfalt im Neuen Testament - S. 221, 223, 225, 53, 226
6 Ohlig, Ein Gott in drei Personen? Vom Vater von Jesus zur Trinität, S. 130
7 Dunn, The Christ and the Spirit - Der Christus und der Geist, 1998, S. 47